Kabbalah-Einleitung

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Franz Bardon

 

 

 

Franz Bardon

Der Schlüssel zur wahren Kabbalah

Einleitung

           Meinem in der Einweihungsserie nun schon dritten Werk gab ich den Titel „Der Schlüssel zur wahren Kabbalah“. Diese ist im Grunde genommen eine Gotteswissenschaft und behandelt die Wissenschaft des Wortes. Wer sich mit Theurgie befaßt, muß unbedingt eine magische Entwicklung schon hinter sich haben, d. h., daß er zum mindesten die Praktiken meines ersten Werkes – „Der Weg zum wahren Adepten“ – vollkommen beherrschen muß. Auch das vorliegende Buch besteht – ebenso wie meine beiden ersten Werke – aus zwei Teilen. Mit dem ersten, also dem theoretischen Teil, bereite ich den Leser auf das schwierige Gebiet der Kabbalah eingehend vor, der zweite Teil enthält die eigentliche Praxis.

           Über Kabbalah, welche für die hermetische Literatur eine harte Nuß ist, wurde schon viel geschrieben, aber für die Praxis läßt sich von all dem leider nur sehr wenig gebrauchen. Fast durchwegs wird behauptet, daß derjenige, der sich mit Kabbalah befassen will, der hebräischen Sprache mächtig sein muß, ohne deren Kenntnis ein Studium der Kabbalah überhaupt nicht möglich ist. Die theoretische Kabbalah, welche die meisten Schriften enthalten, ist gewöhnlich hebräischen Ursprunges und soll dem Schüler eine Weltanschauung laut kabbalistischem Muster geben. Bücher, welche auch auf die Praxis und auf den Gebrauch der wahren Kabbalah hinweisen, gibt es nur sehr wenige. Einzelne jüdische Geistliche (Rabbiner) wußten von der kabbalistischen Lehre, hielten sie aber – scheinbar aus orthodoxen Regungen – streng geheim, so daß nicht einmal Bruchteile der kabbalistischen Praktiken in die Hände der Öffentlichkeit gelangten.

           Die vielen Beschreibungen der Kabbalistik geben dem ernsthaft Studierenden nicht einmal theoretisch etwas Genaueres, geschweige denn erst für die Praxis die richtigen Anhaltspunkte. Sie liefern ihm höchstens nur eine philosophische Darstellung des Mikro- und Makrokosmos. Von der kabbalistischen Weltanschauung kann sich der Kabbalah-Studierende überhaupt keine Übersicht machen, da er sich in dem großen Wirrwarr der Anschauungen erstens nicht zurecht findet und zweitens lassen ihn die Gegensätze der verschiedenen Bücher weiterhin im Dunkeln.

           Mein vorliegendes Werk enthält sowohl Theorie als auch Praxis, und namentlich Letztere sehr ausführlich, wovon sich jeder Kabbalah-Begierige selbst überzeugen wird. Die ganze umfangreiche Kabbalah in ein einziges Buch aufzunehmen ist logischerweise aus rein technischen Gründen nicht möglich. Ich gab mir jedoch Mühe, die Perlen dieser wunderbaren Wissenschaft so aneinanderzureihen, damit sie eine ungewöhnlich schöne Kette bilden. Dabei nahm ich auf die Analogiegesetze im Zusammenhang mit dem Mikro- und Makrokosmos selbstverständlich entsprechend Rücksicht, wie es ja auch nicht anders sein kann, wenn das Gesamtbild der Kabbalah lückenlos bleiben soll. Der zahlreichen hebräischen Bezeichnungen, wie sie bis jetzt in der Kabbalah allgemein gebraucht wurden, bediene ich mich so wenig als nur möglich und gebe lieber solchen Ausdrücken den Vorzug, die einem jeden Menschen leicht verständlich sind. Jedenfalls wird der Leser beim Studium meines Werkes eine ganz andere, d. h. die richtige Vorstellung von der „Praktischen Kabbalah“ gewinnen.

           Wer Erfolge erzielen will, die ihn praktisch von der Wirklichkeit der Kabbalah überzeugen sollen, muß meine beiden ersten Werke – „Der Weg zum wahren Adepten“ und „Die Praxis der magischen Evokation“ – systematisch durchgehen. Ansonsten würde die Ausbildung auf dem Wege der Vollkommenheit gar zu lange Zeit in Anspruch nehmen und die Erfolge würden sich erst sehr spät einstellen. Dem Leser bleibt es allerdings überlassen meine Werke auch nur theoretisch durchzunehmen. Er wird sich dadurch ein Wissen aneignen, welches ihm wohl keine philosophischen Bücher geben können. Nur bedeutet Wissen noch lange nicht Weisheit. Wissen hängt von der Ausbildung der intellektuellen Seite des Geistes ab, Weisheit dagegen bedingt die gleichmäßige Entwicklung aller vier Aspekte des Geistes. Deshalb ist Wissen bloße Philosophie, welche allein aus einem Menschen weder einen Magier noch einen Kabbalisten machen kann. Ein Wissender wird zwar über Magie, Kabbalah etc. viel sprechen können, aber die Kräfte und Fähigkeiten wird er niemals richtig verstehen.

           Mit diesen wenigen Worten möchte ich dem Leser den Unterschied zwischen einem Philosophen und einem Weisen verständlich machen. Am Leser selbst ist es gelegen entweder den bequemeren Weg des bloßen Wissens zu verfolgen oder den schwierigeren Weg der Weisheit zu gehen.

           Schon die Ur-Völker ohne Unterschied der Rasse und ohne Rücksicht darauf, welche Gegenden unseres Erdballes sie bewohnten, hatten ihre besonderen Religionen, d. h. also eine Anschauung von Gott und infolgedessen hatten sie auch eine Gottlehre. Jede Lehre von Gott war geteilt, und zwar in eine exoterische und in eine esoterische. Die exoterische Lehre war die übliche für die Volksmasse, die esoterische Lehre dagegen nur für Eingeweihte und Hohepriester. Die exoterische Lehre enthielt niemals etwas über Magie und Kabbalah, so daß nur Magier und Kabbalisten die Eingeweihten der Ur-Völker waren.

           Seit jeher war es heiligstes Gebot, diese hohe Wissenschaft streng geheim zu halten, um 1. die Autorität zu bewahren, 2. die Macht über die Volksmasse nicht zu verlieren und 3. um einen Mißbrauch zu verhüten. Bis heute hat sich diese Tradition erhalten und wenn auch mein Buch dem Leser vollkommenes Wissen gibt, so kann es ihm eben nur Wissen geben, aber niemals Weisheit. Letztere muß er sich schon durch praktische ehrliche Arbeit erringen. Der Grad der Weisheit hängt wiederum von seiner Reife und seiner Entwicklung ab. Nur dem tatsächlich Reifen, also dem Berufenen wird mein Buch die höchste Weisheit aufschließen, so daß zwischen dem Wissenden und dem Weisen ein sehr großer Unterschied besteht und das Gebot des Schweigens trotz Veröffentlichung der höchsten Wahrheiten und Geheimnisse nicht verletzt wird. Dem nur Wissenden wird die Weisheit immer okkult bleiben, nur dem Berufenen wird sie vollends zuteil!

           Die Wissenschaft der Kabbalah, also der Theurgie ist uralt und hat ihren Ursprung im Orient. Die Weisen der Urzeit bargen die größten Geheimnisse seit jeher in der Universalsprache, welche die Bildersprache war, was aus den Hieroglyphen der alten Völker – Ägyptens usw. – hervorgeht. Diese Ur-Weisen verstanden nur in der Bildersprache, also in der symbolischen Ausdrucksweise, ihre Lehren weiterzugeben. Die Auffassung der in der symbolischen Sprache wiedergegebenen Lehren war dann immer vom Reifezustand des betreffenden Schülers abhängig. Sämtliche orientalischen Weisheiten sind lediglich in der symbolischen Sprache festgelegt worden. Wer nicht reif genug war oder wer nicht unter der Führung eines Meisters – Gurus – den nötigen Reifezustand durch Ausbildung seiner Individualität erreicht hatte, für den blieben diese Weisheiten geheim. Deshalb waren sich bis heute alle wahren Schriften der Einweihung darin einig, daß ohne persönlichen Guru eine Einweihung nicht nur nicht möglich, sondern sogar gefährlich ist. Ein wahrer Eingeweihter mußte gemäß der Entwicklung des Schülers diesem die Schriften vom symbolischen Standpunkt aus sukzessive verständlich machen und unterwies ihn in der Sprache der Symbolik, also in der Ur-, d. h. Bildsprache. Der Schüler war an diese Sprache seines Meisters gewöhnt und konnte die Weisheiten wiederum nur in der symbolischen Sprache weitergeben.

           Auf diese Weise wurde bis zum heutigen Tage diese heilige Wissenschaft nur traditionell von einer Person auf die andere übertragen. Jegliche Erklärung eines Meisters seinem Schüler geschah durch Eingebung von seiten des Meisters, so daß es dem Schüler ganz plötzlich klar wurde, was ihm der Meister sagen will. Diese Einleuchtung, also Einweihung hatte im Orient einige Benennungen, wie z. B. Abisheka, Angkhur usw. Niemals gab ein Meister einem Unvorbereiteten, also Unreifen die wahren Mysterien der Weisheit preis. Es gab wohl auch Magier und Kabbalisten, welche über die höchsten Weisheiten einige Schriften hinterließen. Aber wie schon gesagt, waren die höchsten Weisheiten alle in der symbolischen Sprache niedergelegt und wenn sie zufälligerweise auch einem Unreifen in die Hände gelangten, blieben sie ihm unverständlich. Mitunter kam es auch vor, daß diese Weisheiten ein Unreifer von seinem eigenen Standpunkt aus deutete. Daß diese Deutung jeder wahren Auslegung entbehrte ist selbstverständlich.

           Die meisten Schriftsteller, denen es gelungen ist, entweder zu hinterlassenen oder zugänglichen Schriften des Orients zu kommen, machten durchwegs ein- und denselben Fehler und zwar, daß sie diese Schriften wörtlich in die Sprache des Intellektes übersetzten, demnach buchstäblich auffaßten. Da sie meistenteils auch gar nicht reif waren die Symbolik eines Mysteriums, einer Praktik u. dgl. richtig zu deuten, da ihnen die nötige Vorbildung und das wahre Verständnis der Bilder- oder kosmischen Sprache fehlte, entstanden dadurch in der hermetischen Wissenschaft zahlreiche Irrtümer. Es kann sich heute kaum jemand eine Vorstellung darüber machen, wie viele unsinnige Praktiken in den zivilisierten Sprachen herausgegeben wurden.

           In meinem vorliegenden Werk habe ich die symbolische Sprache in die intellektuelle Sprache umgearbeitet und den Weg der wahren hermetischen Wissenschaft in bezug auf die Kabbalah, also auf das Geheimnis des Wortes, so zugänglich gemacht, daß ihn jeder Wissende getrost gehen kann.

Der Verfasser


19.11.2015

 

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